Mut zur Intuition. Eine Annäherung

Foto © May Wyss

Letztens besuchte ich meine Eltern in Leipzig und stellte auf der Rückfahrt im Zug fest, dass ich online die falsche Fahrkarte gebucht hatte. Oh Schreck! Im Geiste lief schon das Szenario einer langwierigen Diskussion mit dem Schaffner und einer kostspieligen Nachzahlung ab. Ich dachte bei mir, dass es ja viel besser wäre, wenn er mich einfach übersieht. Dann versuchte ich mich zu entspannen und nicht weiter daran zu denken, in der Hoffnung, dass mir meine Intuition im richtigen Moment, die richtigen Impulse schickt. Irgendwann bin ich in den Speisewagen gegangen, um mir einen Kakao zu holen. Gerade als ich dort am Tresen bezahlte, lief der Schaffner an mir vorbei und übersah mich tatsächlich. Et voilá!

Etwas aus dem Bauch heraus entscheiden, seinem Instinkt folgen oder sich von seiner inneren Stimme führen zu lassen, wird oft belächelt oder gar als unseriös dargestellt. Dabei entscheiden wir sehr oft „aus dem Bauch heraus“, ohne lange zu überlegen oder behaupten intuitiv zu wissen, ob dieses oder jenes für uns gut ist oder nicht. Dennoch kennen wir alle Situationen, wo wir uns auf unsere Instinkte, Bauchgefühle und Eingebungen verlassen.

Zum Beispiel wissen Kinder instinktiv, was sie gerade brauchen. Bergführer ahnen wann ein Sturm droht und es Zeit wird umzukehren oder Schutz zu suchen, um ihre Gruppe sicher zu führen. Bauern bestimmen den idealen Zeitpunkt für Saat oder Ernte intuitiv oder Unternehmer haben einen „Riecher“ für Erfolg. Wissenschaftler sehen ihre Forschung, genau wie Künstler, oft als einen kreativen Prozess, der von genialen Eingebungen oder spontanen Erkenntnissen vorangebracht werden kann.

Kreativität und Intuition

Zu Beginn des kreativen Prozesses sammeln wir Informationen und Daten, wir denken darüber nach und machen die ersten Experimente damit. Unvorhersehbar, in einer völlig anderen Situation, ordnet sich alles wie von Geisterhand zu einem neuen Muster, zu Ideen und Möglichkeiten, an die wir vorher nicht gedacht haben. Ich kenne eine Autorin, die in Momenten, wo sie nicht weiterkommt und ihr eine neue Idee fehlt, Kuchen backt. Dadurch gewinnt sie Abstand und sie überlässt beim Backen ihren Händen die Führung. Ihr Kopf wird frei und die Ideen können wieder fließen. Vielen „genialen“ Entdeckungen und Kunstwerken gingen ähnliche Geschichten voraus.

Intuition ist auch das Resultat von langjähriger Erfahrung und Training

Wie auch viele meiner Kolleg*innen, ahne ich oft schon vorher, mit welchen Themen oder Symptomen Klienten und Schüler zu mir kommen. Die Fähigkeit in Behandlungen und in meinem Unterricht intuitiv vorzugehen, ist essentiell und eine unerlässliche Ergänzung zum Fachwissen. Übungen, wie ich sie im 2. Teil des Artikels vorstelle, sind in ähnlicher Form immer Bestandteil des Unterrichts, weil sie uns in der Praxis befähigen ohne langes Überlegen, schnell und angemessen auf die Themen des Klienten einzugehen.

Was ist und wie funktioniert Intuition? 

Intuition wird definiert als unmittelbares, nicht auf reflektiertes Denken gegründetes Erkennen. Mit Intuition sind wir in der Lage, Aufgaben großer Komplexität zu bewältigen. Sie hilft uns, allzu komplexe Informationen zu filtern und schnelle, sichere Entscheidungen zu treffen. Intuition ist vor allem dann hilfreich, wenn wir entweder zu viele oder auch zu wenige Informationen zur Verfügung haben. Ein weiterer wichtiger Faktor dabei ist die Zeit, die uns für eine Entscheidung zur Verfügung steht. Mit weniger Zeit, tendieren wir dazu, eher intuitiver zu handeln.

Laut dem deutschen Psychologen und Intuitionsforscher Gerd Giegerenzer, kann der Mensch nur sieben Informationseinheiten +/- zwei Einheiten aufnehmen. Sind es mehr, fühlen wir uns überfordert und lassen eine zuverlässige, rationale Entscheidung nicht mehr zu. Bei ausufernden Informationen verarbeitet Intuition die komplexen und rational schwer fassbaren Informationen wesentlich besser.

Wenn wir zu wenige Informationen für die rationale Entscheidungsfindung zur Verfügung haben, greift die Intuition auch auf den unbewussten Wissensspeicher zurück. Intuitive Impulse und Ideen fördern die Kreativität. Unkonventionelle Lösungswege finden wir am ehesten, indem wir uns ihnen intuitiv nähern.

Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen werden viele Informationen nonverbal und unterschwellig ausgetauscht. Die intuitive Wahrnehmung dieser nonverbalen Signale helfen uns im konstruktiven Umgang mit anderen.

Drei Arten von Intuition

Der angeborene Instinkt, hat im Laufe der Menschheitsgeschichte wirksame Überlebensstrategien in unseren Genen angelegt. Das „Bauchgefühl“, beschreibt die während unseres Lebens im Unterbewusstsein gespeicherten Erfahrungen. Und als Drittes gibt es noch etwas, das wir als „göttliche“ Führung oder höhere Intuition bezeichnen können. Die Weisheit des Herzens, die aus der Verbindung des Herzens mit der Umwelt ganz neue, innovative Ideen in Form von plötzlichen Eingebungen oder Visionen hervorbringen kann. Genau wie auch der Darm, ist unser Herz von einem komplexen, selbstständig operierenden Nervengeflecht von über 40.000 Nervenzellen umgeben und Forschungen des Heart Math Institute zufolge, ist unser Herz in der Lage, Informationen zu empfangen und zu verarbeiten, bevor sie den bewussten Verstand erreichen.

Intuition braucht Training

Dass Intuition existiert ist unbestritten, woher sie kommt und wann man ihr vertrauen sollte ist oft nicht eindeutig zu benennen. Die einen vermuten, solche Eingebungen haben wir vor allem, wenn wir schon viel zum Thema wissen. In diesem Fall kommt die Intuition von angesammeltem Informationen und Beobachtungen. Es gilt: Viel lernen und erfahren, dann loslassen und sein Unbewusstes schnell und spontan eine Entscheidung treffen lassen.

Wieder andere sehen Intuition als Botschaft einer einer allwissenden Quelle. Mit dieser Betrachtungsweise sind keine Erfahrungen nötig. Einfach auf das Universal-Wissen zugreifen und eine Eingebung „horchen“.

Beide Möglichkeiten lassen sich in der Praxis anwenden. Dafür braucht es allerdings zwei wichtige Vorraussetzungen. Erstens muss die Grundlage geschaffen werden, auf der Intuition „geschehen“ kann. Die einen sammeln Erfahrung und Detailwissen, die anderen arbeiten am Vertrauen in sich und ihre Fähigkeiten. Beides ist hilfreich! Und zweitens muss die leise Stimme unseres Unbewussten wahrgenommen werden. Das ist viel schwieriger. Denn so lange wir bewusst denken, überdecken alle möglichen Gedanken, Gefühle und Erwartungen den Zugang zu unserer Intuition. Erst wenn wir ganz still werden, bekommen wir Zugang zu dem meist zarten Stimmchen, mit dem die Intuition versucht, sich bemerkbar zu machen.

Dieser Artikel soll ermutigen, die Wirkungsweise unserer Instinkte, Bauchgefühle und Eingebungen besser kennenzulernen und zu erforschen. Den Grund für eine Entscheidung zu hinterfragen und im Alltag auszuprobieren, dich stärker von deiner Intuition leiten zu lassen.

Intuition ist wie ein Muskel, den man trainiert, indem man ihn benutzt. Die Zuverlässigkeit auf Grund von Eingebungen getroffener Entscheidungen wächst bei regelmäßiger Anwendung. Somit lässt sich Vertrauen in das eigene Erleben, Fühlen und Denken zurückgewinnen, anstatt sich auf den sogenannten Expertenrat zu verlassen.

So kommst du mit deiner Intuition in Kontakt:

Ein förderliches Umfeld schaffen. Zur Ruhe kommen, Auszeiten nehmen, regelmäßig meditieren, in die Stille gehen. Stress ist der natürliche Feind der Intuition.

Intuitives Schreiben. Schreibe deine Gedanken zu einer Frage auf, ohne Nachzudenken. Notiere deine Beobachtungen und Fragen.

Gefühle zulassen und ehrlich beobachten. Nimm deinen Körper wahr. Was ist gerade los? Was verändert sich, wenn du an bestimmte Personen oder Situationen denkst. Finde die versteckte Gefühle bzw. negative Bewertungen. Wie fühlt sich das an? Beobachte für einen bestimmten Zeitraum alles ohne zu bewerten. Was hat sich dadurch verändert? Sei achtsam und nimm all die kleinen Zeichen wahr. Habe keine bestimmten Erwartungen, in welcher Form deine Intuition mit dir spricht.

Erweitere dein Halbwissen. Blättere in Zeitschriften und Büchern. Überfliege Artikel und sieh dir Reportagen zu interessanten Themen nebenbei an.

Begib dich in „gefährliche“ Situationen, reagiere spontan und ohne Plan. Jemand lächelt dich in einem Café an. Beginne spielerisch ein Gespräch und schau, was sich daraus entwickelt. Ein Plakat spricht dich aus irgendeinem Grund an. Besuche die Veranstaltung. Eine Pflanze oder ein Tier kreuzt unerwartet deinen Weg. Beschäftige dich eine Weile mit den Eigenschaften dieses Tieres oder der Pflanze. Lasse dich führen, folge Zeichen, gerade wenn du in einem Prozess bist, wo du nicht weiterkommst.

Die direkte Schulung. Versuche die Zahl beim Würfeln vorherzusagen. Das Telefon klingelt. Rate wer dran ist. Wirf eine Münze usw.

Vertrauen lernen. Je mehr du spontan handelst und positive Erfahrungen machst, desto mehr gewinnst du Vertrauen in deine innere Stimme. Achte auf Zeichen, lass dich von ihnen führen. Lass dich auf deine Intuition ein.

Spiele mit dem Fokus deiner Wahrnehmung. Konzentriere dich für einen gewissen Zeitraum auf eine bestimmte Sache. Du wirst beobachten, je länger du deine Aufmerksamkeit dieser Sache widmest, dir scheinbar zufällig Informationen darüber immer häufiger begegnen, quasi zufliegen.

Der erste Gedanke ist meist der Richtige. Gerade, wenn man schon viel über ein Thema weiss, hat sich in den Forschungen von Gerd Giegerenzer herausgestellt, dass die Lösung, die einem am schnellsten in den Sinn kommt, die Richtige ist.

Bist du bei einer Entscheidung unschlüssig, frage dein Herz. Das Herz in der Lage Informationen zu empfangen und zu verarbeiten, bevor sie den bewussten Verstand erreichen.

Schlaf darüber. Denn im Schlaf ist unser Verstand wirklich mal still und lässt das so viel klügere Unbewusste die passendere Entscheidung finden.

Diese Übungen sind nur einige Beispiele, wie du mit deiner Intuition in Kontakt kommst. Es gibt noch eine Vielzahl von Übungen und Herangehensweisen, die ich in meinen Workshops unterrichte.